Wie klingt ihr Leben heute? Die Cellistin schaute ihn verdutzt an. Ja, sie sind doch Musikerin! Sie müssen das wissen! Wie klingt ihr Leben heute? Die Cellistin nahm ihre Brille ab, schaute ihm erst in die Augen, dann auf die weiße Wand hinter ihm, dann wieder in seine Augen. Sie wollte Zeit gewinnen, da sie sich als Musikerin verpflichtet fühlte, eine schlaue Antwort zu geben.
Heute Morgen hatte ich einen kleinen Unfall, sagte sie. In der Küche glitt mir ein Glas aus der Hand und fiel auf den harten Fliesenboden. Für einen Augenblick klang mein Leben glasklar und dann zerbarst es in tausend kleine Teile. Sie sagen Scherben brächten Glück. Ich nahm den Besen, fegte alles zusammen und weinte.
Aber wegen eines zerbrochenen Glases brauchen sie doch nicht zu weinen. Er hob seine rechte Hand als wollte er Trauer abwehren.
Nein, ich weinte nicht wegen des Glases. Ich weinte wegen der Klarheit des Klanges, der Klarheit in der Stille des Morgens. Kennen sie das, wenn man wegen der Schönheit und Klarheit weinen muss?
Ja, ich kenne das, meinte er und rutschte auf dem Stuhl etwas hin und her wie immer, wenn er die Stille über seine Emotionen brechen musste. Er hatte sich diese Brüchigkeit abgewöhnt, seit der Trennung.
Die Cellistin goss noch etwas Rotwein in sein Glas und schüttelte den Kopf. Das Leben klingt sehr selten klar, meinen sie nicht? Selbst im Orchester, wenn wir alle spielen und der beste Dirigent am Pult steht und wir alle unser Bestes geben, selbst dann ist es nicht wirklich klar.
Hm, einen klaren entscheidenden Ton bekommt man selten. Es gibt Tage und Wochen da klingt das Leben wie ein dunkles Grollen. Haben sie das schon mal erlebt? Wenn ein Mensch aus deinem Leben geht, ohne was zu sagen und dich in einem dunklen Vibrato stehen lässt? Alles brummt dann, dein Kopf, dein Körper, dein Herz.
Er schaute auf und war erschrocken darüber, was er gerade gesagt hatte.
Vielleicht. Die Cellistin musterte ihn. Aber sind die klaren und hellen Momente nicht sehr viel wichtiger? Auch wenn es nur Momente sind?